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Heute

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Ich lebte über 20 Jahre als Rechtshänderin. Meine Rückschulung auf die linke Hand begann am 25.01.2012.

Heute bin ich Linkshänderin.
Ich schreibe ausschließlich mit links und habe eine schöne Handschrift. Vor ein paar Wochen bekam ich einen Brief von meiner Bank, die mir freundlich mitteilte, dass meine Unterschrift auf den Überweisungen nicht mehr mit der im Computer Gespeicherten übereinstimmt. Ich musste persönlich vorbei kommen und beweisen, dass ich dieselbe Person bin, die nun aber anders unterschreibt. Meinen Alltag bestreite ich ebenfalls mit links. Essen, kochen, putzen. Alles.
Als positiv empfinde ich, dass beide Arme gleich stark und geschickt sind. Ich bin sehr multitasking-fähig und habe große Vorteile beim Spielen von Musikinstrumenten, da ich überhaupt keine Probleme habe mit meinen beiden Händen vollkommen verschiedene Dinge zu tun.
In der Malerei setze ich die Beidhändigkeit bewusst ein, da beide Hände einen unterschiedlichen Strich haben und mir das gefällt. Welcher Künstler hat schon zwei unterschiedliche Zeichenstile? Das muss man einfach nutzen.
Eine leichte Links-Rechts-Schwäche habe ich noch heute. Manchmal weiß ich nicht sofort welche Hand welche ist. Da eben beide alles können. Das ist der einzige Nachteil, wenn man es so nennen will, aber damit kann ich gut leben.

Die Angst und das Bereuen der Vergangenheit

Rechtshänder - Beidhändig - 2012- AygenhändigIch will nicht viel über sie schreiben, nur erwähnen, dass es sie auch gab. Die Momente der Angst, die Rückschulung nicht zu schaffen, von nun an für immer langsam Schreiben zu müssen. Die Momente wo sich Schreiben mit links schwerfällig und langsam anfühlte und Schreiben mit rechts einfach nur falsch.

Ich hatte Angst, dass meine linke Hand es niemals richtig lernen würde und gleichzeitig war es keine Alternative mehr wieder mit Rechts zu schreiben, denn ich hatte keine Lust wieder Kopf- und Rückenschmerzen zu haben.
Dann gab es noch die Momente des Haders mit der Vergangenheit: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich von Anfang an Linkshänderin gewesen wäre?
Warum hat es niemand bemerkt? Wie wäre ein Leben ohne Kopf-, Rückenschmerzen, Krankengymnastik und diverse Arztbesuche gewesen? Wie wäre meine Schulzeit gewesen?
Inzwischen kann ich sagen, dass mich die überwältigende Erfahrung der Rückschulung und meine heutige Beidhändigkeit  für diese Momente entschädigt hat. Trotzdem gab es sie natürlich.

Es bringt nichts, zurück zu schauen. Ebenso bringt es mir nichts meinen Eltern oder Lehrern vorzuwerfen, dass niemand auf die Idee gekommen ist, dass ich vielleicht mit der falschen Hand schreibe.
Es ist schade, dass man mich statt dessen mit Schönschrift-Übung und Mathe-Nachhilfe (es war widerlich!) gequält hat. Aber was will man machen.

Ein Spruch von mir mit 16 Jahren auf einer leer abgegebenen Mathearbeit:

„Mathematik ist ein Schatten,
der sich mir immer wieder schemenhaft zeigt.- 
Doch sobald ich glaube eine Struktur zu erkennen
und versuche danach zu greifen,
zerfließen die Schatten ins Nichts.“ 

So war ich als Rechtshänderin. Zu vielen Dingen unfähig, aber das mit Stil. – So sind wir Künstler.
Ich kann nur sagen, dass es mir sehr geholfen hat die Vergangenheit mit Humor zu nehmen. Ist es nicht lustig, dass ich heute plötzlich rechnen und sauber schreiben kann? Ohne etwas anderes dafür zu getan zu haben, als mit Links Schreiben und Malen gelernt zu haben? Wenn man bedenkt wie viele Menschen ich mit meiner Eloquenz und meinem künstlerischen Talent auf der einen – und meiner vollkommenen Zahlen-Unfähigkeit, auf der anderen Seite, an die Grenze ihrer Pädagogik und anschließend in die Verzweiflung getrieben habe, ist es doch eigentlich zum lachen, oder?

Euphorie und Fortschritte

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Ich erinnere mich sehr gern an meine Rückschulung. Inzwischen ist sie eine Lebenserfahrung, die ich nicht missen möchte, weil sie so viel Potential zu Tage gefördert hat, von dem ich nicht weiß, ob ich es als „Standart-Linkshänderin“ zu schätzen wissen würde.
Bereits nach einer Woche üben mit der linken Hand hatte ich euphorische Momente voller Begeisterung, wie leicht mir einige Dinge plötzlich fallen. Es war als würde man eine sorgfältig, über viele Jahre einstudierte Choreografie zum allerersten Mal ohne Bleigewichte an den Füßen tanzen und sich wundern, wie leicht sie auf einmal ist. Plötzlich konnte ich Klavierstücke auswendig spielen, die ich mir vorher einfach nicht merken konnte. Auf einmal waren viele Dinge im Alltag nicht mehr so anstrengend. Der Dauerstress, unter dem ein umgeschulter Linkshänder jeden Tag steht, hatte nachgelassen. Es war befreiend!
Ich war schon immer eine gute Musikerin und sehr kreativ gewesen, aber durch die Rückschulung habe ich sowohl in der Musik, als auch in der Kunst derart große Fortschritte gemacht, dass ich immer glücklicher und erfolgreicher wurde.
Dadurch das nun alle Gedanken, Gefühle und kreativen Prozesse den richtigen Weg gehen und nicht mehr kreuz und quer durch mein Gehirn geleitet wurden um irgendwann in der rechten Hand an zukommen, wurde alles plötzlich so einfach und mühelos. Es sind Kapazitäten frei geworden.

Alpträume

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Die Umschulung der Händigkeit ist ein tiefer Eingriff in die Psyche eines Menschen.
Klar ist es erst einmal toll, wenn man eine Erklärung für seine schlechte Handschrift, seine Rückenschmerzen und Überforderungsgefühle gefunden hat.
Man ist motiviert und fängt an mit der linken Hand zu malen, zu schreiben und hat erste Erfolgserlebnisse. Aber es gibt auch immer wieder Momente die einem Angst machen können.
Bei mir waren das unter anderem die Schmerzen in der linken Schulter am Anfang. Gott sei Dank war ich geistesgegenwärtig, trainierte den Körper, machte Yoga und Entspannungsübungen. Aber auch meine Seele hatte in der ersten Zeit so ihre Momente die mich… Wie soll ich sagen… Etwas geschockt haben:
Ich habe mehrere Nächte lang geträumt, dass ich doppelt existiere, zwei Körper habe und und mit beiden die selben Bewegungen ausführe.
Spiegelbildlich.
atraum2Es gab Varianten in den Träumen: Einmal habe ich mich gefühlt wie ein geistiger siamesischer Zwilling. – Ein Geist mit zwei Körpern, die beide tun, was der Geist will, nur jeweils mit der anderen Hand. Einmal habe ich auch geträumt, dass mein Körper quasi zwei Schatten ist, die in der Schulter mit einander verschmolzen sind, trotzdem aber unabhängig von einander mit beiden Händen spiegelbildlich agieren können. Ich konnte quasi mit dem linken Arm des einen Körpers durch den rechten Arm des anderen hindurch greifen…
Ich konnte auch einmal eine ganze Nacht lang nicht schlafen, weil ich sobald ich die Augen schloss das Gefühl hatte über zwei Körper zu verfügen. Ich hatte das „normale“ Körpergefühl, was ich (noch als Rechtshänderin) kannte, plötzlich doppelt. Eine Naturheilerin erklärte mir, dass es ganz logisch sei, weil meine rechtshändig verknüpften Nervenbahnen alle noch da sind und sich gleichzeitig neue, linksherum gebildet haben. Daher wusste mein Gehirn eine Zeit lang nicht „welchen Weg“ es nehmen soll und nutzte halt beide.

atraum1Das gab mir ein „doppeltes“ Körpergefühl.

In dieser Zeit habe ich auch sehr oft mit beiden Händen zugegriffen, wenn ich etwas nehmen wollte. Der Körper war auf rechts geschult, lernte auf einmal etwas Neues und war damit überfordert nun plötzlich zwei Möglichkeiten zu haben.
Im Nachhinein finde ich diese Erfahrung und meine Träume sehr faszinierend und erinnere mich gern an sie. In der Situation damals haben mir die Träume aber einen gewaltigen Schreck eingejagt!
Doch auch das ging schnell vorbei. Umso mehr ich mit der linken Hand machte um so selbstverständlicher wurde es und bald gab es keine Zweifel mehr- es automatisierte sich alles. Trotzdem hat mir die Erfahrung dieser Träume gezeigt, wie tief die Händigkeit auf die Psyche wirkt und das man sehr vorsichtig damit sein sollte.

Die ersten Wochen der Rückschulung

linkshänderinIn den ersten Wochen, ganz zu beginn meiner Rückschulung war ich sehr verwirrt, aber auch sehr glücklich. Mein Körper fühlte sich neu an. Alles was ich tat war eine neue Erfahrung. Anders herum nur, aber es fühlte sich an, als würde ich es zum ersten Mal tun. Durch die Schreibübungen hatte ich manchmal ein paar Probleme mit meinen Augen. Irgendwie war es manchmal schwer den Blick zu fixieren. Auch wurde ich vom Schreiben sehr, sehr schnell müde. Insgesamt war ich in der ersten Wochen sehr müde.

befreiend...

Aber eine Neurologin beruhigte mich. Sie sagte, die Hand-Augen-Koordination müsste sich neu einstellen und es würde eine kleine Zeit dauern, bis die neuen Nervenverbindungen in die andere Richtung geknüpft sein.  Die Müdigkeit käme daher, dass mein ganzer Körper nun arbeitet und sich umstrukturiert. Wie bei der Heilung einer Wunde. Das kostet Kraft und ich soll unbedingt so viel Schlafen wie ich muss. Nach ca. 2 Wochen funktionierte wieder alles wunderbar. Trotzdem war es sehr gut jemanden fragen zu können.

Linkshänderin

Linke Hand - 2012 - Erstes Links QuartettSeit drei Jahren weiß ich, dass ich Linkshänderin bin. Ich habe damals am 25.01.2012, kaum kam ich mit der Diagnose nach Hause alle meine Nagellackflaschen (es sind viele!) genommen und auf der Stelle versucht mit der Linken Hand zu malen. Es war das Erste was ich tat und es funktionierte sofort. Ja, die Hand bekam zwischen durch einen Krampf, aber die Bilder gelangen gut.

Warum Nagellack? Weil ein Nagellack-Pinsel der einzige Pinsel war, den meine linke Hand zu halten gewohnt war, denn schließlich lackiert Frau sich ja auch irgendwie die Fingernägel der rechten Hand.

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Als ich meine ersten linkshändigen Bilder, das Portrait einer Freundin und vier kleine Kompositionen in ähnlichen Farben auf dreieckigen Leinwänden betrachtete, wunderte ich mich sehr. Warum kam mir nie von selbst die Idee mit der linken Hand zu malen?
Wenn es auf Anhieb so gut geht, warum ist es mir dann niemals aufgefallen?
Vielleicht weil die Rechte es schon so gut konnte?

 

Aygenhändig - 2012 - Rechte Hand - NoraIch war am Anfang wirklich erstaunt über die gelungenen Bilder. Weil mir noch nie der Gedanke gekommen war keine Rechtshänderin zu sein. Da ich schon immer viel gemalt hatte, stellte ich sie meinen anderen rechtshändigen Gemälden gegenüber und erkannte keinen Qualitätsunterschied. Ein anderer Strich, ein anderer Stil, ja. – Aber sonst ziemlich ähnlich. Freunde von mir merkten überhaupt keinen Unterschied. Sie wussten dass ich malen kann und wunderten sich lediglich, warum ich denn auf einmal Nagellack benutze und keine Acrylfarben. Auf Grund dieser ersten gelungenen Bilder entschied ich mich mit der linken Hand Schreiben zu lernen.

Ich wusste nicht was auf mich zu kommen würde. Aber ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl. Ich bin mit großen Hoffnungen in die Rückschulung gegangen, die sich alle erfüllt haben. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass es zwar nicht leicht ist ein zweites Mal Schreiben zu lernen, aber die Auswirkungen auf meine Gesundheit und mein Leben sprachen für sich.

Für mich war es die richtige Entscheidung.